Nassschneelawinen: Schwierigkeiten in der Vorhersage und dessen Auswirkungen für Entscheidungsträger

Nassschneelawinen: Schwierigkeiten in der Vorhersage und dessen Auswirkungen für Entscheidungsträger

Zur Lawinensituation im Frühjahr gibt es erstaunlich wenig Literatur und Hintergrundwissen. Mountainrisk wird in einer mehrteiligen Serie Erfahrungen im Umgang mit Nass- und Gleitschneelawinen der vergangenen Jahre veröffentlichen.

Grundlage dieser Informationen sind ein Forschungsprojekt und daraus resultierende Diplomarbeiten am Kitzsteinhorn sowie Erfahrungen bei der Lawinenkommission Ischgl Idalpe. In diesem Beitrag wird auf die Hintergründe der Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Vorhersage von Nassschneelawinen eingegangen und warum eine Verbesserung der Prognosemodelle im Interesse aller ist.

Seit den 1930er Jahren wurden hauptsächlich trockene Schneebrettlawinen erforscht, da sie vorwiegend für Unfälle mit Personenbeteiligung verantwortlich waren. Wenig Forschung wurde dagegen im Bereich der Nassschneelawinen (NSL) unternommen, da nur 10 % aller Lawinenopfer in solchen starben (persönliche Kommunikation Thomas Wiesinger, SLF, 2014).

Nassschneelawine trifft Infrastruktur

Eine Nassschneelawinensituation gefährdet über Tage hinweg die Zufahrtstraße zum Sadnighaus. Die einzige Lösung ist eine mehrtägige Straßensperre mit der Konsequenz das Skitourengänger auf dem AV-Haus festsitzen und neue Gäste ausbleiben (Asten, Kärnten, Österreich).

Lawinenprognostiker sind sich einig, dass eine isotherme Schneedecke (die gesamte Schneedecke hat eine Temperatur von 0 °C), zusätzliche Wärmezufuhr und reduzierte Abstrahlung die Auslösewahrscheinlichkeit von NSL verstärkt. Allerdings ist die Vorhersage des Zeitpunkts, wann eine NSL auslöst, extrem schwierig. Die Informationen zum Zustand der Schneedecke kommen hauptsächlich aus Flachfeldmessungen, wo die Schneetemperatur sowohl automatisch als auch händisch gemessen wird. Das ist allerdings ein markanter Unterschied zu Schneedeckenuntersuchungen im Gelände, welche vorwiegend in schattigen Hängen durchgeführt werden, da die Schwachschichten dort meist besser entwickelt sind. Informationen zum Wärmehaushalt der Schneedecke in sonnigen Hängen sind somit selten, nicht zuletzt auch weil es kaum geeignete Messinstrumente gibt. Diese Diskrepanz gipfelt in Beobachtungen, bei denen Nassschneelawinenaktivitäten an sonnigen Hängen bereits Wochen früher starten als die Schneedecke im Flachfeld durchfeuchtet wird und somit auf eine Aktivität schließen lassen.

„Das Hauptproblem in der Beurteilung von Nassschnee liegt in dem Mangel an geeigneten Messinstrumenten, um den Wassergehalt adäquat zu messen. Es fehlen einfache Techniken zur kontinuierlichen und zerstörungsfreien Messung von flüssigem Wasser, welche einfach mit ins Gelände genommen werden können und Rückschlüsse auf dessen Verteilung im Schnee geben“, sagt Stefan Koch.

Nassschneelawinen spiegeln sich in vielen unterschiedlichen Arten wieder. Mit einsetzender Erwärmung nach einem Schneefall bilden sich langgestreckte Lockerschneerutsche aus steilen Felspartien. Allerdings können sie auch als isolierte, nasse Schneebrettlawinen abgleiten oder, bei größeren Instabilitäten in Bodennähe, als riesige Grundlawinen auslösen. Im Lawinenlagebericht sollte ein Hinweis enthalten sein mit welcher Form von Nassschneelawinen man aktuell zu rechnen hat. Darüber hinaus muss eine Warnstufe für Nassschneelawinen herausgegeben werden, wobei Oberflächenrutsche in einer geringen Gefahrenstufe eingeordnet werden können, große, durch Erwärmung und Schmelzwasser verursachte Lawinen hingegen müssen als hohe Lawinengefahr eingestuft werden. Die Lawinenprognostiker neigen leider oftmals dazu eine Gefahrensituation vorsorglich als Stufe 4 (große Lawinengefahr) einzuordnen, da das Fehlen von akkuraten Messungen sie dazu zwingt.

Ein Beispiel: Im Jahr 2004 wurde an mehr als 50 % aller Tage, für welche die Schweiz ein Lawinenbulletin ausgegeben hat, vor Nassschneelawinen gewarnt. Insgesamt an über 100 Tagen! Eine signifikante Nassschneelawinenaktivität herrschte jedoch nur an einigen wenigen Tagen, wobei eine geringe Aktivität an vielen Tagen festgestellt werden konnte. Oftmals wurden auch keinerlei Nassschneelawinen beobachtet (persönliche Kommunikation Thomas Wiesinger, SLF, 2014).

Zurzeit ist es nicht möglich die Tage zu bestimmen, an denen die Situation wirklich gefährlich ist. Dies fällt zu Lasten der Entscheidungsträger, den Verantwortlichen für die Sicherheit der Verkehrsinfrastruktur, welche oft von Nassschneelawinen bedroht wird.

„Durch unzureichende Prognosen wirkt der amtliche Lawinenlagebericht selten unterstützend. Straßensperren sind oftmals die einzige Lösung, führen aber zu Interessenskonflikten und Kommunikationsproblemen. Für Skigebiete, Gemeinden und sogar ganze Regionen ist die Nasschneelawinenproblematik oftmals eine Gratwanderung zwischen Wirtschaftlichkeit und Sicherheit der Kunden.Welche Tourismusregion kann sich schon eine mehrtägige Straßensperre zum samstäglichen Bettenwechsel leisten?“, sagt Stefan Koch

Zu verstehen, was in einer nassen Schneedecke geschieht, wenn sie feuchter wird als auch die Auswirkungen der Infiltration von flüssigem Wasser in verschiedene Schneeschichten können hilfreich sein neue Vorhersagewerkzeuge zu entwickeln und das örtliche Personal für die Lawinensicherheit zu unterstützen.

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